Gestern, heute, morgen: Wir nehmen Sie zum Jubiläum mit auf eine spannende Reise durch die Verlagsgeschichte, die Abteilungen unseres Hauses und das Leben im Verbreitungsgebiet unserer Zeitung.
Von Dominik Friedrich
Es war in der Abtei Königsmünster zu Meschede, als der Seminarleiter eine größere Gruppe von Chefredakteuren im Frühjahr vor die so entscheidende wie provokante Frage stellte: Print noch heute abschaffen oder so lange wie möglich vor dem endgültigen Aussterben bewahren? Bitte die einen in die eine Ecke, die anderen in die andere Ecke. Es ging ein Raunen durch die Runde und es bildete sich sogleich ein Pulk in der Mitte. Ich tendierte eher zur Bewahrer-Ecke. „Sofort abschaffen“, rief indes ein einziger Kollege in der radikalen Digital-Ecke. Ebenso provokant wie die Frage war seine Antwort gemeint.
Es ist schließlich ein erschöpfender Spagat, den Zeitungsredaktionen seit Jahren bewältigen müssen. Treue Print-Leser Tag für Tag mit hochwertigen Nachrichten auf Papier versorgen, neue Lesergruppen durch interessante Digitalangebote gewinnen. E-Paper, App, Newsletter, Facebook, Instagram, Podcast: Müssen wir machen, wollen wir machen, bereichert unseren zeitintensiven Arbeitsalltag in der Redaktion ungemein. Doch ist mit allen neuen Produkten und Kanälen auch immer die Frage der Wirtschaftlichkeit verbunden. Ist der Kunde zukünftig bereit, für digitalen Inhalt so viel Geld auszugeben, dass Qualitätsjournalismus finanzierbar bleibt? Die Gretchenfrage beschäftigt die Medienhäuser landauf, landab, tagein, tagaus.
Und damit zurück zur Ausgangsfrage: Gerne würde manch Redakteur in hektischen Phasen, in denen crossmediales Arbeiten Dauerstress bedeutet, alte Print-Zöpfe abschneiden. Es überwiegen in der Patriot-Redaktion jedoch die Phasen, in denen wir dankbar dafür sind, dass die sinkenden, aber immer noch sehr verlässlichen Einnahmen aus dem Verkauf der auf Papier gedruckten Zeitung uns überhaupt erst die Chance ermöglichen, mit Aufbruchstimmung und Kreativität an der Transformation zu arbeiten. Die Vorzüge sind in der täglichen Arbeit unübersehbar. Die Digitalisierung fördert die Meinungsvielfalt, sie fördert den Diskurs und die direkte Auseinandersetzung mit dem Leser.
Es gab aber offenbar auch andere Zeiten. Schon in der Beilage zum 170. Patriot-Jubiläum habe ich in einen Satz niedergeschrieben, der mir aus einem Praktikum zu Jugendzeiten in einer Redaktion – nicht der des Patriot wohlgemerkt – noch in schlimmster Erinnerung ist. Ich möchte ihn zum 175-jährigen Jubiläum wiederholen: „Der Leser ist ein Schwein, der frisst alles.“ Ich bin überzeugt, dass dieser unflätige Satz auch schon in analogen Zeiten völlig abwegig war. Der Leser hatte immer schon den Anspruch auf gehaltvollen Lesestoff. Der Satz zeigt aber, was sich manch Redakteur jahrelang zunutze machen konnte, wenn er wollte, was er nicht sollte: Er war mitunter die einzige Nachrichtenquelle im Ort. Er empfing Informationen und entschied, welche davon am anderen Tag gedruckt wurden. Alles andere blieb oftmals im Verborgenen. Der Leser hatte keine andere Wahl – es sei denn, es gab eine Konkurrenzzeitung vor Ort.
Heute ist das undenkbar. Zum Glück. Trotz aller Fallstricke haben das Internet und die moderne Kommunikation im World Wide Web dem Leser und dem Journalismus die Augen und neue Türen geöffnet. Wird dem Leser Fraß vorgeworfen, schiebt er es zur Seite. Die Entscheidungsgrundlage ist eine andere, eine vielfältigere geworden. Die Herausforderungen für eine mit tausenden digitalen Informationsquellen konkurrierende Tageszeitung sind dadurch immens gewachsen. Sie treiben uns an, erste Quelle für verlässliche Information zu bleiben, überdies aber auch in Zeiten von Fakenews und Hatespeech als lokale Plattform Nummer eins zu gelten für fairen und sachlichen Diskurs sowie Meinungsaustausch über alle Themen, die die Menschen zwischen Erwitte und Geseke, Rüthen, Anröchte und Lippstadt bewegen.
Sortieren, einordnen, überprüfen, Hintergrund, Meinung, Mehrwert, Lösungen liefern, Missstände aufdecken, Ungerechtigkeiten mit sauberer Recherche aus der Welt räumen: So möchten wir der multimedialen Informationsflut begegnen. Unser Pfund ist dabei die lokale Präsenz. Wir kommen in ihre Nachbarschaft, wenn sich vor Ort ein Problem aufdrängt. Leserkontakt ist stets fruchtbar, auch wenn er mitunter unbequem sein kann. Lokaljournalismus kann gewiss mehr als Vogelschießen und Vereinsversammlung – auch wenn wir beides gerne weiter besuchen. Dafür braucht es Geld und motivierte, mutige Journalisten. Die Umsonst-Kultur in der digitalen Medienlandschaft weicht zum Glück nach und nach schlüssigen Bezahlmodellen für Journalismus, der etwas wert sein muss. Die einen zahlen für die Rund-um-die-Uhr Nachrichtenvermittlung auf unserer Interseite, die anderen aber hegen, gestresst von der multimedialen Informationsflut, weiterhin den Wunsch nach Abgeschlossenheit. Ein abgeschlossenes, ein fertiges Produkt soll auf dem Tisch liegen oder auf dem Smartphone erscheinen. Wir ordnen ein, wir wählen die aus unserer Sicht wichtigsten Themen aus. Wie in einem Buch, das Tag für Tag neu zu Ihnen kommt: Wir bieten es online als E-Paper, mittlerweile auch mit einer Vorabendausgabe, und dank vieler treuer Kunden nach Möglichkeit noch viele Jahre als gedruckte Papierzeitung an.
Kurzum: Wir sind gerne Spagatmedium mit allen Vorzügen der analogen und digitalen Welt. Der Leser hat die Qual der Wahl. Wir nehmen ihm die Entscheidung zwischen Print, E-Paper, Homepage, App, Newsletter, Facebook, Podcast und Co. nicht ab. Entscheiden Sie selbst. Bleiben Sie uns treu, egal auf welchem Kanal. Ach ja, eine Auflösung bin ich Ihnen noch schuldig. In die radikale Digital-Ecke wechselte auch nach der hitzigen Debatte in der Abtei Königsmünster kein weiterer Kollege.