Das Patriot-Land

Fünf Kommunen, eine Region: Eine Annäherung an das Kern-Verbreitungsgebiet unserer Zeitung

Von Thomas Felder


„Was ist des Deutschen Vaterland? Ist’s Preußenland? Ist‘s Schwabenland? Ist’s, wo am Rhein die Rebe blüht? Ist’s, wo am Belt die Möwe zieht? O nein, nein, nein, sein Vaterland muss größer sein.“ Der heute weitgehend unbekannte Ernst Moritz Arndt (1769-1860) schmiedete diese Verse im Jahr 1813, am Vorabend jenes Gemetzels, das als die Völkerschlacht von Leipzig in die Geschichte einging. Arndt beschwor mit seinem politischen, ja patriotischen Gedicht die deutsche Einheit, denn Deutschland als Staat gab es ja zu seiner Zeit nicht. Die deutsche Frage ist zum Glück nicht mehr offen. An Arndt anknüpfend könnte man die Frage aber von der nationalen auf die regionale Ebene transformieren: Was ist das Patriot-Land? Kann man es definieren?


Um es vorwegzunehmen: Eine umfassende Antwort darauf, was das Patriot-Land ist, traue ich mir zu geben nicht zu. Aber Beobachtungen schildern, Stichworte liefern – das geht schon.


Rein geografisch lässt sich das Patriot-Land noch relativ leicht beschreiben: Es erstreckt sich über die Kommunen Lippstadt, Geseke, Erwitte, Rüthen und Anröchte. Zusammengerechnet umfassen diese Städte und Gemeinden 532 Quadratkilometer, also rund 40 Prozent der Fläche des 1975 gebildeten Groß-Kreises Soest. Doch die Addition von Flächen beantwortet noch nicht die Frage nach dem (typischen) Patriot-Land. Vielleicht ist es aber mit dem Patriot-Land ein bisschen so wie mit dem Begriff Ruhrgebiet. Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets und kam 1977 als Redaktionsvolontär in die Redaktion Der Patriot. Ruhrgebiet als Bezeichnung der Region zwischen Duisburg und Hamm ist geläufig, aber es sagt wenig aus über die jeweilige Eigenart der dortigen Städte und Gemeinden, ganz zu schweigen von den Einwohnerinnen und Einwohnern. Bochum ist nicht Bottrop, Oer-Erkenschwick nicht Oberhausen und Dortmund ist nicht Duisburg, schon gar nicht fußballerisch. Und doch gibt es etwas, was diese Region verbindet. Einst waren es Kohle und Stahl, heute ist es noch zum kleinen Teil der Stahl und inzwischen vor allem der Sektor Dienstleistung. Und es gibt die den Menschen des Ruhrgebiets nachgesagte Offenheit, Authentizität und Anpassungsfähigkeit. Heute spricht man auch von Resilienz.


Wenn wir das Patriot-Land als Region begreifen, dann fällt schon auf, dass die Städte und Gemeinden und damit auch ihre Einwohnerinnen und Einwohner je eigene Akzente setzen. Ein paar Klischees dürfen jetzt sein, zumal sie das Unverwechselbare einer Region durchaus fokussieren. Lippstadt trägt den Titel „Venedig Westfalens“ durchaus mit Stolz, und Rüthen weist mit dem Zusatz Bergstadt aufs Tor zum Sauerland hin. In Erwitte ist der Bogen von der Schloss-Romantik bis zur Zementindustrie weit gespannt; Geseke kann, ebenso wie Rüthen und Erwitte, auf einen historischen Ortskern verweisen. Und der Grünsandstein aus Anröchte ist weit über die Grenzen der Gemeinde hinaus berühmt.


In Lippstadt und Erwitte spielte die Industrie immer eine wichtige Rolle, aber auch in Geseke, Rüthen und Anröchte. Der Mittelstand prägte und prägt die ökonomische Wirklichkeit. Die Landwirtschaft ist noch immer von Bedeutung. Mit Blick auf Lippstadt, der größten Stadt im Patriot-Land, könnte man ein einst für den Freistaat Bayern erfundenes Schlagwort umwandeln: „Automotive und Agrar“ – analog zu „Laptop und Lederhose“.


In dem 1989 vom Soester Hans Rudolf Hartung veröffentlichten Buch „Der Kreis Soest“ sind auf dem Buchdeckel insgesamt sechs Motive aus dem Kreisgebiet zu sehen: die Werler Madonna, die Schmerlecke Mühle, ein kupferner Braukessel aus Warstein, Bördekönigin und Jägerken von Soest und Segelboote auf dem Möhnesee. Das nur 6,5 mal neun Zentimeter kleine Foto oben rechts zeigt Schützen vor der ältesten Gaststätte Lippstadts. Wenn es etwas gibt, das im Patriot-Land sozusagen eine verbindende Klammer darstellt, dann ist es wohl auch die weiterhin sehr lebendige Schützentradition. Ein Service dieser Zeitung in der Ära vor dem Internet (ja, die gab es) war alljährlich Ende April die Veröffentlichung sämtlicher Schützenfesttermine im Patriot-Land. Das war eine Fleißarbeit, und die publizierten Termine waren, soweit ich mich erinnern kann, so gut wie nie korrekturbedürftig.


Die zahlreichen Schützenvereine und -bruderschaften in Lippstadt, Geseke, Rüthen, Erwitte und Anröchte werden nicht widersprechen, dass ihre Präsenz typisch ist fürs Patriot-Land. Aber auch sie sind nur ein Teil des Ganzen. Womöglich kann man das Patriot-Land auch gar nicht auf eine kurze Formel bringen. Nach der Kreis-Neuordnung 1975 trauerte so manche und so mancher dem untergegangenen Altkreis Lippstadt nach. Aber die Städte und Gemeinden im Patriot-Land spielten rasch eine wichtige Rolle im damals neuen Groß-Kreis Soest. Offen für Neues und anpassungsfähig erwiesen sich die kommunalpolitischen Akteurinnen und Akteure aus jenem Teil des Kreises Soest, den man Patriot-Land nennen darf. Und sie prägten das Bild des Kreises.


Das Patriot-Land ist jedoch nicht nur für Menschen innerhalb seiner „Grenzen“ interessant. Es übt auch eine gewisse Anziehungskraft auf die benachbarten Regionen aus. Die unmittelbar ans Patriot-Land grenzenden Kommunen in den Kreisen Gütersloh, Warendorf und Paderborn blicken zumindest aus den Augenwinkeln auch immer darauf, was im Raum Lippstadt und  Geseke so passiert. Kommunalpolitische Grenzen sind, Weisheit der Binse, längst keine Grenzen der Wahrnehmung. Schon gar nicht im Internet-Zeitalter.


„Auf die Mischung kommt es an“  heißt es für  jedes gute Unterhaltungsprogramm und für  jede interessante Speisekarte.  Insofern hat das, was man Patriot-Land nennt, einiges zu bieten, so unterschiedlich die Städte und Gemeinden auch sind. Das stimmt zuversichtlich für die Zukunft!